Der
Jäger ohne Kopf
Zu den
Zeiten, als noch die Buschweibel in den Königshainer Bergen
Anlass zu allerlei Geschichten gaben, spukte es auch im dortigen
Schlosspark. Wer in stürmischen August- oder Septembernächten
zur Mitternachtsstunde durch diesen ehemals weitläufigen
Park ging, sah manchmal große, struppige dreibeinige Hunde
mit feurigen Augen kläffend vorbeispringen. Ihnen folgte
kurze Zeit darauf ein riesiger Jäger mit einer Flinte. Doch
sonderbarerweise besaß er keinen Kopf. Das war das Schlossgespenst
oder der wilde Jäger, und wer ihn sah, dem stand viel Ungemach,
ja sogar sein baldiges Ende bevor.
So lief einmal der dicke
Windmüller des Dorfes, nachdem er im Wirtshaus tüchtig
gezecht hatte, anstatt nach Hause, torkelnd in den nahen Schlosspark.
Weil ihn nun ein heftiger Niesreiz plagte, holte er umständlich
seine silberne Schnupftabakdose aus der Tasche und versuchte in
der Dunkelheit zu schnupfen. Da kamen plötzlich große,
wütend kläffende Hunde angesprungen, deren Augen wie
Feuer leuchteten. Sie hätten den Müller bald umgerissen.
Gleich danach tauchte ein riesiger Jäger mit seiner Flinte
auf.
Der Windmüller war aber so betrunken, dass er in der dunklen
Nacht gar nicht bemerkte, dass der Jäger keinen Kopf besaß,
obwohl dieser nur wenige Schritte von ihm entfernt war. Lallend
sprach er zu der gruselig aussehenden Person: „Willste ne o ane
Prise hoan?“ Und hielt ihr wackelnd die Schachtel hin. Schwub,
da schlug der Jäger von unten an die Dose, dass dem Müller
der ganze scharfe Schnupftabak in die Augen flog. Da hat dieser
aber gerieben und mit dem Schnupftüchel gewischt, und die
Tränen sind ihm nur so über die dicken Backen gekullert.
Das scharfe Zeug ernüchterte unseren trunkenen Windmüller
doch etwas. Als der Mond für einen kleinen Augenblick hinter
einer dunklen Wolke hervorkam, sah er im fahlen Nachtlicht gerade
noch den sagenhaften Jäger ohne Kopf und trotzdem höhnisch
lachend mit seinen dreibeinigen Hunden hinter den Bäumen
des Parkes verschwinden. Die Luft roch nach Pech und Schwefel.
Den Müller gruselte jetzt doch etwas. Er hatte den geheimnisvollen
wilden Jäger gesehen. Ob es gar der Teufel selbst war? Hastig
bekreuzigte er sich und murmelte schnell noch einen frommen Spruch.
Dann bemühte er sich aber, rasch nach Hause zu kommen. Denn
ein zweites Mal wollte er dem unheimlichen Jäger nicht mehr
begegnen.
Von seinem
nächtlichen Erlebnis berichtete der Windmüller bei allernächster
Gelegenheit im Kretscham. Aber keiner wollte ihm so recht glauben,
weil der Müller gern aufschnitt. Doch im nächsten Jahr
zur gleichen Nacht fand man ihn nach einer tollen Zecherei im
Schlosspark tot auf. An seinem Hals glaubten die Dorfbewohner
Brandspuren erkannt zu haben, die langen Fingern ähnlich
sahen. Es kam das Gerücht auf, dass der plötzliche Tod
des Windmüllers mit den Brandmalen am Hals dem wilden Jäger
zuzuschreiben sei, der ja im Schlosspark sein Unwesen trieb.
Seit dem jähen Ende
des zechfreudigen Müllers ging kein Königshainer mehr
zu mitternächtlicher Zeit durch den unsicheren Park. Erst
ein durch die Gegend ziehender Bader und ehemaliger Landsknecht,
der sich auf allerlei geheimnisvoller Künste verstand, hat
durch Ausspruch eines wirkungsvollen Zauberbannes dem wilden Jäger
den Aufenthalt in seinem bisherigen Revier verleitet, denn seit
dieser Zeit ist kein weiteres Opfer des Schlossgespenstes zu beklagen
gewesen. Vielleicht hat es sich eine andere Gegend für sein
nächtliches Treiben ausgesucht.
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