Die Teufelskrallen
auf dem Totenstein
Der
Teufel trieb, im Gegensatz zu heute, früher sein Unwesen
ziemlich öffentlich und tauchte deshalb häufig auf der
Erde auf. Da ihn noch keine Riesenschornsteine der Kraftwerke
oder gar Flugzeuge behinderten, konnte er zwischen der Bergen
der Lausitz nach Belieben hin und her springen und nach neuen
Opfern für sein Höllenreich Ausschau halten. Aber er
beobachtete auch mit großem Argwohn den Bau von Kirchen,
deren erklärter Feind der Satan war, weil in ihnen dann oft
von den Pfarrern gegen den Teufel gepredigt wurde. Den Gotteshausbau
versuchte der Höllenfürst deshalb zu verhindern oder
wenigstens zu stören, wo er nur konnte.
Als
der Satan also nach längerer Abwesenheit wieder in den Königshainer
Bergen auftauchte und sich zum Ausruhen auf dem Totenstein niederließ,
erblickte er seinem Verdruß, dass die Görlitzer auf
dem Burgberg an der Neiße mit dem Bau einer großen
Kirche schon weit fortgeschritten waren, dass nur noch bei den
Türmen fleiß8ige Handwerker tätig waren. Ja, in
der Kirche saßen sogar schon viele Gläubige, und der
Teufel hörte mit seinen guten Ohren, wie der Pfarrer die
anwesenden Männer, Frauen und Kinder von den bösen und
hinterlistigen Versuchungen des Luzifer eindringlich warnte. Darüber
geriet der Höllenfürst in große Wut, und er beschloss
darum, die schöne neue Kirche, die den Namen nach den beiden
Aposteln Christi, Petrus und Paulus, erhalten hatte und verdeutscht
„Peter- und Paulskirche“, später kurz „Peterskirche“ geheißen,
zu zerstören. Ein anderes Schicksal habe sie nicht verdient.
Brand und Erdbeben schienen
dem Satan für die totale Vernichtung dieses Gotteshauses
wegen seiner festen Bauweise zu ungeeignet. Deshalb wollte er
es mit großen Gesteinsblöcken des Totensteins, auf
dem er ja im Moment saß, restlos zertrümmern. Am schwersten
erschien dem Teufel die oberste Platte des Totensteins. Freilich
tat es ihm etwas leid um sie, denn sie war ihm eine lieber Erinnerung
aus längstvergangener Zeit, als noch hier den Göttern
geopfert wurde und dabei auch der Fürst der Unterwelt nicht
in Vergessenheit geriet. Aber es musste sein.
Mit aller Kraftanstrengung
fasste der Satan die wuchtige Platte an. Doch sein teuflisches
Vorhaben war selbst für den Höllenfürsten leichter
gedacht als getan. Voller Wut grub er seine fünf krallenhaften
Finger in den Harten Granit. Der gab unter der Höllenhitze
nach, und wo die glühenden Finger hingefasst hatten, entstanden
mehr als faustgroße tiefe Löcher. Aber so sehr sich
Luzifer auch abmühte, die oberste Felsplatte des Totensteins
in die Luft zu heben und sie auf die ahnungslosen Menschen in
der Peterskirche zu schleudern, es dünkte dem geschwänzten
Leibhaftigen, als sei sie angewachsen. Da aller Schufterei des
Teufels letzten Endes kein Erfolg beschieden war, verfluchte er
die Peterskirche für alle Zeiten und verschwand voller Ärger
unter Blitz, Donner und fürchterlichem Gestank wieder in
sein Höllenreich.
Ob nun der Satan den Weiberbau
der Türme aus einer anderen Gegend erschwert, ist nicht bekannt.
Jedoch bleiben die Peterskirchentürme trotz der barocken
Turmhauben irgendwie unvollendet, wie man es auf ganz alten Gemälden
noch feststellen kann. Und zum Ärger der Bürger der
Stadt Görlitz hatte ihre größte Kirche deshalb
insgesamt nicht das erwünschte Aussehen eines würdigen
Domes, wie ihn z.B. die Meißener oder Erfurter vorweisen
konnten. Erst in den Jahren 1889/91 erhielt die Peterskirche durch
den Bau der etwa 85 m hohen neugotischen Türme aus Beton
das eindrucksvolle Aussehen, welches wir noch heute ehrfurchtsvoll
bewundern können.
Die
tiefen Löcher auf der obersten Platte des Totensteins sind
ebenfalls heute noch zu sehen, am Rande freilich durch die lange
Zeit schon etwas verwittert. Der Volksmund bezeichnete diese Vertiefungen
im Laufe der vielen Jahrzehnte als „Teufelskrallen“.
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